
»Weiter, immer weiter!« hat ein gewisser Oliver Kahn einst erfolgstrunken und mit Tränen in den Augen in ein Reportermikrofon geschrien. Er meinte damit jedoch das Nichtaufgeben, egal wie sehr einen das Leben vielleicht gerade in den Arsch gebissen hat. Und nicht das heute so bekannte HÖHER, SCHNELLER, WEITER! Aber den meisten Menschen ist der Zero-Man lediglich als überehrgeiziger, von Erfolg zu Erfolg eilender Torwart Titan im Gedächtnis geblieben. Schade eigentlich. Das Drama von Barcelona 1999, das dem Triumph von Mailand 2001 vorausging. Vergessen. Die Bilder vom verlorenen Finale bei der WM 2002, als er mit angezogenen Knien am Pfosten hockte, den Kopf gesenkt, mit starrem Blick ins nichts. Weiß keiner mehr. Obwohl Oliver Kahn erst im Dezember vergangenen Jahres in einem Interview darüber gesprochen hatte, wie es sich für ihn angefühlt hat, dass ihm » … zwei Milliarden Menschen beim Versagen zugeschaut …« hatten. Und was das mit ihm gemacht hat.
Vielleicht liegt es an der Erwartungshaltung, die wir an uns selbst stellen, dass wir nicht mehr im Stande zu sein scheinen, den (eigenen) Misserfolg nicht nur anzuerkennen, sondern auch wertzuschätzen. Weil er eben genauso zum Leben dazugehört, wie der Erfolg. Dass der Misserfolg auch nur eine Episode auf dem Weg zum Erfolg sein kann. Und ganz oft ist er das auch. In den meisten Fällen tritt der Erfolg sogar nur dann ein, wenn ihm vorher ein (oder mehr als nur ein) Misserfolg vorangegangen ist. Siehe Barcelona 1999. Siehe München 2012. …
Also woher kommt sie, diese Erwartungshaltung? Dieses Streben nach dem steten AUFWÄRTS, diesem unerbittlichen VORWÄRTS. Dieses immer MEHR, immer SCHNELLER, immer BESSER. Dieses sich selber einen Misserfolg nicht verzeihen können. Diese Scham vor dem Scheitern. Die sozialen Medien haben sicher ihren Teil dazu beigetragen. Wer postet schon gerne Bilder des in die Hose gegangenen Urlaubs auf Facebook. Wer teilt schon sein Selfie auf Instagram, 5 Minuten nachdem die Liebe des Lebens die Beziehung beendet hat? Verzweifelt. Verheult. Gedemütigt. Jetzt sagen Sie zu Recht, dass nicht jedes der täglich 95 Millionen auf Instagram hochgeladenen Fotos nur die schöne heile Welt darstellt. Aber in der Tendenz stimmen Sie mir sicher zu, oder? Und als Realität erkennen wir nun mal das an, was wir sehen und erleben. Auch wenn es zum Teil konstruiert und manchmal auch über die Maßen gefaked daherkommt.

Vielleicht wird es langsam mal Zeit für ein bisschen Ehrlichkeit. Und wenn schon nicht auf unseren Social-Media-Kanälen, dann wenigstens mit uns selbst. Wäre zumindest mal ein erster Schritt, oder? Mir selbst ging es vor einigen Jahren ziemlich besch…eiden, vorsichtig ausgedrückt. Seit Jahren mit wenig anderem als mit mir selbst, meiner Karriere und dem Aufrechterhalten meiner auf Hochglanz polierten Fassade beschäftigt, erlebte ich im Spätsommer 2017 mein erstes Burnout und eine depressive Episode, die sich gewaschen hatte. Von einem auf den anderen Tag verlor ich den Boden unter meinen Füßen. Und mit ihm jede Art positiver Gedanken. Und alles, was ich dachte, das mich als Person auszeichnen würde, lastete mit einem mal schwer wie ein Sack Ziegelsteine auf meinen Schultern.
Heute, gut 5 Jahre später, hat sich vieles geändert. Und zwar zum Positiven. Hell yeah, mir geht’s wieder gut! Und zwar jeden Tag. Ohne Ausnahme. Wirklich, ganz ehrlich. Es geht aufwärts. Und zwar steil und stetig. … Hahaha, Bullshit! Ich habe auch heute noch Tage, die würde ich meinem schlimmsten Feind nicht wünschen. Grau, verregnet, kalt und dunkel – und ich rede hier nicht vom Wetter. Tage, an denen ich (ver)zweifle. An mir, an meinem Hund, an The Elephant Room, an allem. Aber ich versuche damit klarzukommen. Irgendwie. Und meistens gelingt es mir auch, diese Art von Downs zumindest irgendwie einzuordnen. Aber bei weitem nicht immer. Zumindest habe ich gelernt, hin- und nicht wegzuschauen, mich selbst wieder zu spüren. Spüren, dass da überhaupt etwas ist. Auch wenn das nicht immer mit Konfettiwerfen verbunden ist. Es gehört halt einfach dazu, sich mal scheiße zu fühlen. Und wenn man sich das dann auch gestattet, hat man wenigstens auch was davon.
Ein Prozess ist keine gerade Linie. Ganz im Gegenteil. Vor allem nicht, wenn die Seele krank ist. Auch meine Familie musste lernen, dass man in den meisten Fällen nicht völlig geheilt aus der Klinik entlassen wird. Und zwar auf die harte Tour, weil sie niemand vorher ins Boot geholt hat. Ich nicht, weil ich es ja selber nicht wusste und nur von Tag zu Tag gucken konnte. Und auch die Ärzte und Therapeuten nicht, weil das so in unserem System offensichtlich leider nicht vorgesehen ist. Aber weil wir uns trauen hinzuschauen, hinzufühlen, haben wir die Möglichkeit, sowohl an den Hoch- als auch an den Tiefphasen zu wachsen. Gemeinsam, als Individuen und als Rudel. Und das ist das eigentlich beste an der ganzen Geschichte.
In diesem Sinne, danke Olli!
